Rosa Brille und Erwachsenenbeziehungen oder der Jazz der Stadt

25112013KALEIDO

In einem meiner ersten Blogartikel – alter Schwede, ich weiß nicht, ob es mir wie gestern oder ob all der Erlebnisse doch wie eine Ewigkeit vorkommen soll – habe ich von einer spontanen Verliebtheit mit der unbekannten Schönheit London berichtet. Wie in jeder überschwänglichen Gefühlsduselei folgt auf die ersten Schmetterlinge ein ausgedehnter Kennenlern- und Annäherungsprozess, die anfängliche Euphorie wird durch eine intensive Auseinandersetzung mit der Angebeteten in ein anderes Licht gerückt. Man reibt sich, versucht sich zu arrangieren, ist nicht immer einer Meinung und wird auch beinhart mit den negativen und ungemütlichen Seiten konfrontiert.

20130920_164615

London ist ein hartes Pflaster, natürlich wunderhübsch in seiner optischen Erscheinung, besonders dann, wenn man kurz einmal als Besucher und Tourist hier sein Zelt oder Hotelbett aufschlägt. Will man aber leben, nein, besser: „überleben“, sieht vieles ganz anders aus. Noch nie habe ich in einer Stadt eine solche Diskrepanz, eine riesig aufklaffende Lücke zwischen superreich, über-posh, traditionell stolz und bettelarm, schmutzig, unzulänglich und unbarmherzig erlebt. Doch all das macht die Stadt im Innersten aus, das ist des Pudels wahrer Kern.

20130914_201333

Mein London? Mein Block, mein Bus, meine Wege…

Voll Dankbarkeit blicke ich bereits auf eine schier unvorstellbare Fülle an Erlebnissen, Begegnungen, neuen Bekanntschaften und Erfahrungen zurück, die mir meine Zeit hier beschert hat. Immer wieder durfte ich auch für einige Tage die Stadt hinter mir lassen, um bei besonderen Events in Großbritannien (z.B. Goodwood) und im Ausland (Johnnie Walker Odyssey, Bericht auf Whiskyexperts, BCB und Bar Awards, Falstaff Spirits und Bar Gala) einen kleinen Gastauftritt zu geben.

20131117_164515

Als ich in einer sternenklaren Nacht mit dem Flieger über London einschwebte, den schimmernden Blick auf die sich schwarz dahin mäandernde Themse, ein großer dunkler Fleck Hyde Park, das leuchtende London Eye, Tower Bridge, Big Ben und Piccadilly, traf mich wie ein Schlag das Gefühl der Vertrautheit. Ein wenig aufgeregt suchte ich von oben „meine“ Ecken ab, folgte in Gedanken den täglichen Busrouten und spazierte durch die Gassen und entlang der Oxford Street.

20131117_162528

Besonders auch durch Besuche von meiner Mutter und Freunden, denen ich kürzlich meine Impressionen der Stadt, abseits von 0815-Touri-Erlebnissen zeigen durfte, wurde mir insgesamt sehr deutlich bewusst, wie sehr ich mich in London eingelebt habe und wie wohl ich mich fühle.

20131117_123134

Eine Erwachsenenbeziehung

Ja, ich hatte mich ein wenig blauäugig und rosa “bebrillt“ in das blendende Äußere verschaut, musste Ernüchterungen erleben, die pubertären Gefühle zurücklassen und erwachsen werden im täglichen Leben, der Arbeit und in der Beziehung zu dieser Schönheit.

20131122_151537

London braucht wohl, wie keine andere Metropole Europas, eine ziemlich lange Phase des Kennenlernens und „sich aufeinander Einstellens“, man lernt in dem gemeinsamen Gefühl des Alleinseins und der kollektiven Fremdheit, Vertrauen zu finden.

20131118_132818

Barjazz und der Klang der Stadt

Und in einem der seltenen, stillen Momente dieser Stadt höre ich die Worte meines Bruders, der mir vor meiner Abreise gut zusprach und mir versicherte, dass ich in ein paar Monaten die Stadt „rocken“ würde. Ich würde sagen, eine beschwingte Big Band ist es geworden, samtiger Barjazz, ein grooviges Funk Trio – der bezaubernde Klang, die Musik in meinen Ohren…

Mit den besten Spirits,
Euer Reini