Nicht wie sonst jedes Mal, gehe ich zehn Mal sicher, dass ich den Schlüssel auch wirklich eingesteckt habe, diesmal bleibt er bewusst auf dem Wohnzimmertisch liegen, gemeinsam mit einem Abschiedsgeschenk für Pip, die Landlady. Einmal noch schweift der Blick in jeden Winkel, der Herd ist ausgeschaltet, die Geräte abgesteckt, der Lichtschalter abgedreht.
Von Koffern und lieben Menschen
Ich weiß nicht genau wie, aber irgendwie habe ich es noch zwölf Stunden vor meiner Abreise und in einer Verwirrung stiftenden Gefühlsmelange doch irgendwie geschafft, all mein Hab und Gut in die Koffer und Taschen zu pferchen. Bis zur letzten Sekunde befand ich mich voll „im Dienst“, auch wenn der letzte Tag mit einem Weihnachtslunch (das bis spät in die Nacht reichte und recht boozy endete) mit dem ganzen Team von LBC und der COLD Distillery einen entspannten Abschluss bildete.
Der Durst Londons
Der Vorweihnachtstrubel hat die Trinkfreude der Briten noch ein kleines Quäntchen weiter getrieben. Der Dezember war verrückter und arbeitsintensiver als alles, was ich zuvor erlebt habe. Aber es waren fantastische Tage, voller Vorfreude, voll toller Projekte und leider auch zahlreicher „Goodbyes“… Oft habe ich mich ertappt bei Dingen, die ich „ein letztes Mal“ gemacht habe, beim Abschied nehmen von lieb gewonnenen Gewohnheiten und vertrauten Plätzen. Dass das zu der rührseligen und besinnlichen Weihnachtszeit nicht hundertprozentig passt, aber das Gesamt-Tohuwabohu auf die Spitze treibt (in erstaunliche Höhen schwingt), ist mir jeden Tag neu bewusst geworden. Ich habe ein paar besondere Menschen kennenlernen dürfen und nehme im Herzen nicht nur Erinnerungen und Erfahrungen auf professioneller Ebene mit, sondern gerade auch die persönlichen Momente, die einen bereichern und reifen lassen und so das restliche Leben begleiten.
Ihnen, euch allen: Danke!
„86 Reini“
Wenn man unter Tränen das letzte Mal seinen Arbeitsplatz verlässt, begleitet von stehenden Ovationen, johlenden und applaudierenden Kollegen, die zu einer Familie geworden sind, dann sind entweder alle glücklich, dass man sich endlich verpisst, oder es ist etwas Besonders passiert und gewachsen im Laufe der Zusammenarbeit.
Wenn man mit einem Kloß im Hals einen besonderen Freund und seine liebe Frau umarmt, ein letztes Mal winkt, bevor man in unterschiedliche U-Bahnen steigt, dann erinnert man sich vielleicht an jenes erste Treffen vor einigen Monaten, während eines zweitägigen Kurztrips zum Savoy Jobinterview. (ein zufälliger Blick in den Whisky Shop Picaddilly).
Wenn man mit seinem verrückten, weltberühmten Fotografen-Nachbarn ein letztes Glas hebt, bevor er über Weihnachten zurück in seine Heimat, die Vereinigten Staaten, fliegt und wir uns nicht mehr wieder sehen (zumindest nicht in diesem „setting“), dann hat sich in der Anonymität des Riesenmollochs „London“ eine vertraute, befreundete Seele gefunden.
Wenn man extra noch einmal ein High Five an die neapolitanischen Pizzaiolos unter der eigenen Wohnung verteilt, einen Abschiedsespresso genießt und sich herzlichst verabschiedet, mit dem Versprechen auf ein Wiedersehen, ist eine bloße Hausgemeinschaft weit mehr geworden.
Unzähligen Bartenderkollegen habe ich „Lebwohl & Farewell“ gesagt, mit ihnen in Erinnerungen gekramt, mich ein letztes Mal durch den Austausch mit ihnen bereichert. (man kramt in Erinnerungen, Austausch, Bereicherung). Manche sind dabei in ihrem selbstauferlegten Star-Status eher mit salbungsvoller Selbstbeweihräucherung beschäftigt, andere wiederum sind voller Herz und Leidenschaft und mit letzteren teile ich ein besonders gutes Verhältnis. (mit- und auseinander)
Ich könnte und würde elendig lang weiter machen, aber das Taxi ist bereits da und der Flieger wartet nicht. Was bleibt mir noch übrig, als Danke zu sagen für Euer aller Unterstützung, Euer Mitfühlen, Mitgehen? Danke! Ihr wisst gar nicht, was mir das bedeutet. Wenn es mir gelungen ist, den GSA Raum, die Firma Jägermeister, die mich so großartig unterstützt hat, meine Passion und die Barkultur würdig zu leben und zu vertreten, ja noch weiter nach außen zu tragen und neuen Leuten zu präsentieren, dann ist alles gewonnen – da bin ich mir sicher!
Meine Zeit in London und das Hubertus Rat Stipendium waren Erfahrungen, die mit keinem Geld der Welt aufzuwiegen sind, die ich zum genau richtigen Zeitpunkt in meinem Lebens machen durfte und die mich bis ans Ende meiner Tage prägen werden. Eine Weile wird es brauchen, bis diese überbordende Menge an Impressionen sickert und wirklich ankommt, lange nachdem mein Flugzeug es tut.
Mein Herz strahlt, ich bin ein veränderter und bereicherter Mensch, als jener, der hier vor Monaten ankam. Ich bin ein glücklicher Mensch.
Die Tür fällt ins Schloss, ich atme ein letztes Mal die frische Luft Notting Hills und sehe mich selbst wie von außen, eine stumme Träne von der Wange wischend.
A spirits journey…